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Oliver David und Antti Törmänen«Wie ich mit einem besonderen Trainer arbeiten durfte»

Der Finne und der Kalifornier: Antti Törmänen (links) und Oliver David an der Bande des EHC Biel.

Eine unglaubliche Zeit geht für mich zu Ende. Eine Zeit, auf die ich trotz der Niederlage im Final gegen Servette zum Schluss immer mit Freude und Stolz zurückblicken werde. Damit Sie wirklich verstehen, was es für mich vor zwei Jahren bedeutete, in Biel anzukommen, muss ich ein wenig ausholen und zunächst aus meinem Leben erzählen. Ich wuchs in Kalifornien auf, im San Fernando Valley.

Sie werden mir vielleicht nicht glauben, aber es gibt Parallelen zwischen dem Leben rund um Los Angeles und jenem in Biel: Die kulturelle Vielfalt, die Prägung des Alltags durch Einwanderer, die Mehrsprachigkeit. Es gibt hier in Biel Leute, die neben ihrer Muttersprache auch Deutsch, Französisch, Englisch sprechen – das beeindruckt mich sehr. Ich finde es gut, dass meine Kinder das auch erleben durften und hoffe, dass es ihnen hilft, offen für die Welt zu sein und nicht nur für jene Region, aus der wir stammen.

In vielem ist Los Angeles aber eine ganz andere Welt. Und das gilt vor allem für den Ort, wo ich später lebte, als ich das Valley verliess: Hollywood. Und ich meine wirklich Hollywood – mittendrin. Das Whisky-a-Go-Go, das Roxy Theatre, das Greek Theatre oder die Hollywood Bowl – ich war regelmässig in all den legendären Musik-Locations. Ich wohnte in der Nähe des Troubadour, häufig konnte ich bei Konzerten wegen des Lärms nicht schlafen.

«In Hollywood war ich ein Ausserirdischer in meiner eigenen Stadt.»

Es war normal, ständig auf der Strasse oder in Restaurants die Wege der Stars zu kreuzen: Einmal sass mir Will Ferrell in einem Café gegenüber, brütete stundenlang über einem Filmskript. Und ich sah immer wieder eine der Olsen-Zwillinge, die in der Nähe wohnten. Vielleicht sah ich auch beide, ich bin mir da bis heute nicht ganz sicher …

Vielleicht fragen Sie sich, was ein junger Eishockeycoach, der kleine Kinder trainiert, ausgerechnet in Hollywood tat? Es gibt eine Redensart, die besagt, dass niemand aus Hollywood ist, aber alle dorthin wollen, um etwas zu werden, um am Ende doch zu scheitern. Ich hingegen war tatsächlich ein Einheimischer, der in Hollywood wohnte, aber nicht davon träumte, ein Star zu werden, sondern ein Eishockeytrainer. Ich war ein Ausserirdischer in meiner eigenen Stadt.

Vor allem aber zog ich wegen einer Frau nach Hollywood. Die Trainings der Kinder waren am Abend in der Nähe, ich verbrachte den Tag jeweils mit Workouts und bereitete mich danach in den Cafés auf die Eistrainings vor. So lernte ich meine Ehefrau kennen, die nebenbei als Kellnerin jobbte, so wie das dort viele der Zugezogenen mit Träumen tun. Sie wollte Sängerin werden, sie hatte dafür ihr Leichtathletik-Stipendium hingeschmissen. Wir dateten, wir wurden ein Paar, ich zog fix zu ihr.

Arbeit mit den Verteidigern: Oliver David im Gespräch mit Noah Delémont.

2009 erhielt ich die Chance, Profitrainer zu werden. Das Angebot kam nicht aus Hollywood, nicht aus Kalifornien. Das Städtchen war über 5000 Kilometer entfernt … in Alaska. Also zogen wir dorthin. Ich trainierte das U-20-Team und sammelte einzigartige Erfahrungen. Dazu gehörten drei Wochen lange Roadtrips mit über 6000 Kilometer entfernten Gegnern in Texas oder Michigan. Die Reisegruppe: Ich und 25 Teenager, keine Betreuer. Oft kam nicht einmal ein Assistenztrainer mit. Ich hatte noch keine eigenen Kinder, für die Jungs war ich eine Art Vater, der ihnen Eishockey und vor allem Verantwortungsgefühl beibringen musste.

Viele junge nordamerikanische Eishockeytrainer starten ihre Karriere in der drittklassigen Profiliga ECHL. Für mich aber begann die Reise in der NAHL, der zweithöchsten Juniorenstufe. Ich würde es im Nachhinein nicht anders machen. Denn nach vier Saisons erhielt ich ein Angebot aus Dubuqe in Iowa als Assistenzcoach des Titelverteidigers der höchsten US-Juniorenliga USHL. Ich war auch 2021 noch dort, mittlerweile als Headcoach, als mich jemand aus der Schweiz kontaktierte. Es war Martin «Stoney» Steinegger, der Sportchef des EHC Biel.

Biel suchte einen neuen Assistenten für Antti Törmänen. Mein Vorgänger Anders Olsson hatte wohl bei Stoney ein gutes Wort für mich eingelegt. Es ist verrückt: Bis heute habe ich Anders noch nie persönlich getroffen, obwohl wir gute Freunde geworden sind. Während Corona waren wir beide Teil eines wöchentlichen Zoom-Meetings, an dem Eishockeyleute aus der ganzen Welt zusammenfanden, um aus ihrem Leben zu erzählen.

«Eishockey hat mir nicht nur das Leben gerettet. Es öffnete mir die Welt, ich kam an Orte, die ich sonst nie gesehen hätte.»

Ebenfalls via Zoom lernte ich dann Antti und Stoney kennen, wir redeten zu dritt über alles Mögliche. Ich erinnere mich, wie Antti häufig das Thema wechselte, weg vom Eishockey. Es sollte mir später bewusst werden, wie sehr dies zu ihm passt, wie sehr dies auch zu seiner Methodik als Trainer gehört.

Nicht alle verstanden, warum ich in die Schweiz ging. Ich bekam zu hören, dass die NHL mein Ziel sein müsse, wenn ich davon träumte, Eishockeytrainer zu sein. Ich finde nicht, dass das stimmt. Ich darf sagen, dass Eishockey mein Leben ist. Ich würde noch weiter gehen: Ich hatte keine einfache Kindheit, dafür immer wieder die falschen Freunde – das Eishockey hat mehrmals mein Leben gerettet.

Der Moment, als ich meine Liebe zum Eishockey fand, hat zudem nichts mit der NHL zu tun. Ich durfte mit 13 mit meinem Jugendteam an ein Turnier nach Russland. Wir hatten keine Chance, die Russen waren so viel besser, obwohl sie viel schlechtere Ausrüstungen hatten. Ich war tief beeindruckt. Als mich meine Mutter am Flughafen abholte, sagte ich noch im Auto: «Ich will zurück, ich will das Eishockey so erleben wie dort.»

Als Headcoach, weil Antti Törmänen wegen der Krebstherapie nicht mitreisen konnte: Oliver David wird von Sportchef Martin Steinegger (links) unterstützt, am 1. April 2023 in Zürich gegen den ZSC.

Das Eishockey, das ich so liebe. Dieser Sport, der mir die Welt öffnete und Reisen an Orte ermöglichte, die ich sonst nie gesehen hätte. Das galt für mich bereits als 10-Jähriger, der in den USA herumflog, um an Turnieren teilnehmen zu können. Reisen und Eishockey – das hat mich mein ganzes Leben lang geprägt. Darum fand ich: Warum nicht nach Biel? Zumal ich schnell merkte, dass es zwischen mir und Antti und Stoney stimmte. Und dass sie den Mut hatten, mich, der noch nie auf Profistufe gecoacht hatte, zu verpflichten.

Ich lernte in den folgenden Gesprächen erstmals diese spezielle familiäre Seite des EHC Biel kennen. Eigentlich hätte ich Bammel haben müssen vor diesem Abenteuer. Es war aber Stoney, der sich um mich und meine Familie sorgte. Er wollte unbedingt verhindern, dass er mir eine negative Erfahrung bescherte. Ich musste ihn beruhigen, nicht er mich. Ich sagte ihm: «Wenn du mich feuern musst, weil ich euch nicht genüge, ist das meine Schuld.» Auch das ist Stoney – er ist in erster Linie ein Mensch, der sich um dich kümmert, und nicht der General Manager, der befiehlt. Auch das erfuhr ich in den nächsten beiden Jahren immer wieder.

So kam ich nach Biel. Ich war in vielem ahnungslos, alles war fremd oder anders, als ich es kannte: Die Sprache, die Kultur, der Umgang der Leute. Ich musste vieles lernen, auch über das Schweizer Eishockey. Die meisten Gegner waren für mich kein Begriff, ich musste sie erst kennen lernen. Anttis Art half mir in diesem Prozess.

«Ich lernte in Biel so viel – von Antti, aber auch von den routinierten Spielern.»

Mit ihm verbringst du nicht mehr Zeit als nötig im Trainerbüro mit Sitzungen. Stattdessen sorgt Antti für konstante Diskussionen, in die alle involviert sind: Spieler, Coachs, Sportchef. Und weil die Spieler mitmachen, erleichtern sie dir die Arbeit als Trainer – oder in meinem Fall den Einstieg.

Ich lernte so vieles von unseren Routiniers, weil sie mich in ihre Welt aufnahmen. Luca Cunti nahm sich gleich nach meiner Ankunft die Mühe, mir eine handgeschriebene lange Liste inklusive Adressen zu erstellen mit Vorschlägen, wie und wo wir unsere Kinder beschäftigen könnten.

Beat Forster brachte mir die Geschichte des Schweizer Eishockeys näher. Gerade bei ihm hatte ich mich zu Beginn gefragt: Was kann ich so einem erfahrenen und erfolgreichen Spieler überhaupt beibringen? Ich kann ihm nur helfen, wenn ich selber offen bin und er sich gleichzeitig auch mir gegenüber öffnet. Meine Sorgen waren unbegründet.

Der Anfang in Biel: Oliver David und die Spieler, aufgenommen am 17. August 2021 in der Tissot-Arena.

Wissen Sie, wie wir unser Unterzahlspiel in meiner zweiten Saison deutlich verbesserten? Alles begann im Sommer, als Verteidiger Victor Lööv mich bat, wegen der Erhöhung der Anzahl Ausländer und der damit besseren Powerplays noch mehr Fokus aufs Penalty-Killing zu legen. Er selber spielt kein Powerplay, umso mehr ist das Penalty-Killing sein Stolz.

Wir veränderten die Penalty-Killing-Sessions vom üblichen Rahmen, in dem nur ich rede, zu offenen Diskussionsrunden, in der unsere Spezialisten wie Sallinen, Haas, Grossmann, Forster, Froidevaux und natürlich Lööv ihre Ideen einbrachten. Auch von Antti kamen wichtige Inputs, weil er von jedem Powerplay-Spieler in dieser Liga die Tendenzen kennt.

So kam die Individualität jedes Einzelnen zum Zug. Man könnte mir nun vorwerfen, dass ich meine Autorität als Coach so untergraben lasse, doch das ist nicht der Fall. Es ist vor allem während der Saison dennoch schwierig, mit Aussenstehenden offen darüber zu sprechen. Wenn mich also Journalisten fragten, ob ich zuständig sei fürs Penalty-Killing, wählte ich die einfache Antwort und sagte bloss: «Ja.»

«Ich hörte oft, was für eine Ansammlung spezieller Charaktere im Team wir gerade unter den Schweizern hätten. Und es stimmt, es ist fast filmreif!»

Ich habe vieles gelernt bei Antti. Etwas kann ich hervorheben: Die Wichtigkeit der Erholung. Und damit meine ich nicht nur das Ausruhen, sondern die Idee, sich immer wieder gedanklich vom Eishockey zu entfernen, was im ersten Moment widersprüchlich tönt. Es dürften viele auch erfolgreiche Coachs, gerade im American Football in der NFL, aufschreien und die Wichtigkeit des Schuftens, der Arbeit und des ständigen Fokus aufs Spiel betonen. Ich verstehe es aber so, dass Antti immer wieder wirklich will, dass du auch mal einen ganzen Tag nicht ans Eishockey denkst. Weil dies nicht nur deinem Kopf Energie verleiht, sondern auch deinem Körper. Darum lenkt er das Thema häufig weg vom Eishockey.

Ich lernte also schnell, dass Antti in vielerlei Hinsicht anders ist als «normale» Trainer. Ich hatte einen frühen Schreckensmoment, als er mich plötzlich fragte: «Du weisst jetzt langsam, wie ich funktioniere, oder?» Ich dachte: Na ja, nicht wirklich … Und ich kann Ihnen versichern: Der konstante Druck, den man als Headcoach spürt, ist immens. Ich meine damit nicht einmal den externen von den Fans oder den Medien oder jenen generell in deinem Leben, sondern bloss all das, was du innerhalb des Teams erlebst und dich beschäftigt: Die 100 Geschichten von deinen Spielern, das letzte Spiel, das nächste Spiel – all das die ganze Zeit. Ich versicherte Antti, dass ich ihm auf keinen Fall auf die Füsse treten wollte und dass ich auch schon in der Haut des Cheftrainers gewesen war, der Angst vor dem Messer im Rücken hat. Ich hatte ihn offenbar falsch verstanden, denn er sagte: «Mach dir keine Sorgen. Sei, wie du bist.»

Sei, wie du bist! Das gilt auch für viele unserer Spieler. Ich hörte oft, was für eine Ansammlung spezieller Charaktere im Team wir gerade unter den Schweizern hätten. Und es stimmt, es ist fast filmreif! Ich vergleiche es mit einem Zoo, in dem die Tiere aber nicht getrennt leben müssen, sondern alle gut miteinander auskommen – und ich meine das wirklich im positiven Sinne. Wir können als Team mit Stolz sagen, dass wir diese Saison das Beste aus allen herausgeholt haben.

Zusammenarbeit der Assistenten: Oliver David und Video-Coach Thomas Zamboni (rechts), aufgenommen in Lausanne am 1. Dezember 2022.

Es ist vor allem Antti, der diese Charaktere managt und es hinbekommt, dass sie als Team funktionieren. Es gibt Mannschaften, die auf Konformität schwören. Unsere Stärke ist die Individualität, Antti unterdrückt sie nicht, im Gegenteil: Er fördert sie. «Ein Spieler hat schon wieder diesen Fehlpass gemacht? Wir müssen nicht immer darauf herumreiten – er hat dafür andere Stärken.» Vielleicht denken Sie gerade, dass das doch nicht funktionieren kann. Aber es funktioniert, ich erzähle all dies am Tag nach unserem Spiel 7 im Playoff-Final.

Ich habe zuvor erwähnt, welch grossen Wert Antti auf die Erholung legt. Es war darum völlig normal, dass wir nach dem letzten Viertelfinalspiel gegen Bern zwei Tage frei bekamen. Ungewöhnlich war, dass wir am zweiten Tag von Stoney am Abend für eine Sitzung im Stadion aufgeboten wurden. Was könnte so wichtig sein, dass es nicht bis zum nächsten Morgen warten kann, wenn wir uns eh wieder sehen? Antti schritt in die Garderobe und kam sofort zur Sache: Sein Krebs sei zurück, und er werde wegen der Behandlungen hin und wieder nicht zur Verfügung stehen.

Für Antti schien das Ganze damit erledigt zu sein, ich interpretierte es auch so, dass er nicht wollte, dass wir uns alle zu sehr damit beschäftigten. Er «normalisierte» es, indem er sehr sachlich darüber sprach. Ich musste mich in der Folge immer wieder selber daran erinnern, wie Anttis Situation war. Er selber rückte nur noch etwas in den Fokus: Wir wollen einen Meistertitel gewinnen.

«Auch der Meistertitel wäre nicht das Ziel gewesen, nach dem wir stehen bleiben. Ich setze eine Niederlage darum nicht mit Versagen gleich.»

Für mich geht meine Zeit in Biel nun zu Ende. Ich verlasse diesen Ort nicht aus Groll, sondern aus einem einzigen Grund: Ich erhalte in einer anderen Liga die Chance, erstmals ein Profiteam als Headcoach zu übernehmen. Der EHC Biel zeigt dafür volles Verständnis. Ich sprach mit Stoney schon vor einem Jahr darüber, als wir meinen Vertrag bis 2024 verlängerten. Er unterstützte mich bereits da, er weiss, wie das ist. So ist Stoney als «hockey guy», so ist er als Mensch.

Ich schliesse aber nicht ab mit der Schweiz, im Gegenteil: Ich hoffe, dass ich einst zurückkommen darf. Es ist für Spieler und Coachs das wohl beste Hockeyland zum Arbeiten. Die Bezahlung ist top, der Lifestyle noch besser. Und wie dein Club an alles denkt und für dich erledigt, ist unbeschreiblich. Ich konnte hier so viel mehr Zeit mit meiner Familie verbringen als üblich in diesem Job. Und ich konnte mich so sehr auf meine Arbeit fokussieren. Hier in der Schweiz fühlst du dich sicher, es gibt kaum negative Ablenkungen.

Wir alle hätten diese Saison so gern mit dem Sieg in Spiel 7 in Genf abgeschlossen. Natürlich auch für Antti. Aber viel wichtiger ist der Blick aufs richtige Leben – und dieses geht weiter. Und das ist etwas Positives. Wir bleiben nicht stehen, wir arbeiten alle an unseren Zielen weiter.

Das ist für unsere Fans vielleicht schwierig zu verstehen: Aber auch der Meistertitel wäre nicht das allerletzte Ziel gewesen, nach dem wir einfach stehen bleiben würden. Ich setze eine Niederlage darum nicht mit Versagen gleich. Die Reise geht weiter mit all den Lektionen, die wir gelernt haben. Keiner von uns liess sich durch Widrigkeiten vom Weg abbringen, Antti am allerwenigsten. Ich wünsche dir, lieber Antti, alles Gute und Gesundheit. Danke, dass ich zwei Jahre mit dir arbeiten durfte! Die Eishockeywelt ist klein, wir werden uns wiedersehen.