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Schweizer Firma tüfteltEin Eisfeld aus Plastikmüll und Meerabfall

Spezialkufen fürs Spezialfeld: Die Shark Blades werden anstelle der regulären Kufen an die Schlittschuhe angeclippt.

Wird Eishockey im Freien dereinst nur noch kurz im tiefsten Winter möglich sein? Bereits jetzt sorgen in der Schweiz offene Eisfelder für Diskussionen. Wie zum Beispiel in Bern, als Anfang Oktober die Öffnung der Anlage im Weyermannshaus auch als «absoluter Energieverschleiss» kritisiert wurde, da die Temperaturen tagsüber die 20 Grad immer noch deutlich überstiegen. Das Eis musste aber aufbereitet werden, da Regionalclubs davon abhängig sind.

Mit der Klimaerwärmung, die der Schweiz erneut bis spät im Oktober hohe Temperaturen bescherte, steigen die Sorgen auch im Eishockey und in anderen Eissportarten. In Zeiten, in denen in allen möglichen Bereichen Nachhaltigkeit gefordert wird, kommen die Probleme auf Betreiber von Aussenfeldern im Schnelltempo zu. Ausserdem steigen aufgrund des milden Wetters die Kosten.

Das Interesse der Verbände

«Der Eissport braucht eine zweite Unterlage», sagt Riccardo Signorell. Der frühere Eishockeyprofi und heutige Filmemacher und Unternehmer hat mit seiner Ehefrau Dayana die Firma Green Hockey gegründet und in den letzten vier Jahren an seinem Projekt «Oceanice» getüftelt. Ein erstes Resultat wurde am Samstag mit einem Kleinfeld in Rapperswil-Jona präsentiert. Prominenz aus dem Schweizer Eishockey, darunter auch die Nationaltrainer Patrick Fischer und Marcel Jenni (U-20), duellierte sich dort auf dem künstlichen Eis in 4-gegen-4-Spielchen.

Bei Oceanice handelt es sich um eine synthetische Unterlage, die neben neuen Materialien zu einem erheblichen Teil aus rezykliertem Plastikmüll aus dem Meer sowie aus Plastikabfall aus Industriewerkstätten besteht. Um darauf bestmöglich skaten zu können, braucht es besondere Kufen aus Minirädern, sogenannte Shark Blades, die wie Haifischzähne ins künstliche Eis greifen.

Die Tüftler: Riccardo Signorell und seine Ehefrau Dayana auf dem Oceanice-Feld in Rapperswil.

Am Anfang der Entwicklung stand sogar diese Spezialkufe und nicht das Feld. In Zusammenarbeit mit der Ostschweizer Fachhochschule und mehreren Partnern aus der Metallindustrie entwickelten die Signorells das dazu passende Kunsteis und schliesslich auch den Spezialpuck, der sich auf der neuen Unterlage so verhalten soll wie die herkömmliche Scheibe auf dem Eis.

Signorells Projekt wird auch von diversen Verbänden mit Interesse verfolgt. Lars Weibel, Direktor der Nationalmannschaften bei Swiss Ice Hockey, war am Samstag für einen Augenschein in Rapperswil. Der frühere Nationalgoalie kennt die Diskussionen in der Schweiz, einerseits wegen der überschaubaren Anzahl Aussenfelder (rund 100), andererseits wegen der Sorgen unter dem Klimawandel. «Tiefere Ligen könnten dereinst Probleme bekommen», sagt Weibel. «Wir werden darum nicht um das Thema synthetisches Eis herumkommen, das ist mehr als bloss eine Marktlücke.»

«Wenn du kein Eisfeld hast, ist Oceanice als Alternative derzeit das Nonplusultra.»

Kevin Parada, Nachwuchs- und Skills-Coach SCRJ Lakers

Auch beim internationalen Verband ist man aufmerksam geworden auf Oceanice: «Solche Projekte, die die Branche revolutionieren möchten, freuen uns sehr», sagt Beate Grupp, Vorsitzende des Umweltkomitees beim IIHF. Der Klimawandel sei dort ein wichtiges Fokusthema: «Wir begrüssen darum solche Innovationen sehr und werden die Entwicklung des Produkts weiter aufmerksam beobachten.»

Entscheidend ist am Ende aber die Qualität. «Wenn Topprojekte kommen, die immer näher am richtigen Eis sind, wird es interessant», sagt Weibel. Wie fühlen sich das Skating und das Eishockeyspiel also auf dem Oceanice an? Kevin Parada ist U-17-Trainer und Skills-Coach bei den Rapperswil-Jona Lakers, er konnte die neue Unterlage schon intensiv testen. Er sagt: «Man merkt die Unterschiede, weil es halt nicht Eis ist. Aber: Wenn du kein Eisfeld hast, ist Oceanice als Alternative derzeit das Nonplusultra.»

Parada kennt sich aus mit der Materie, er hat in den vergangenen Jahren bereits diverse synthetische Eisflächen getestet: «Auffällig war jeweils das ruckartige Verhalten beim Skaten – auf Oceanice hast du das aber nicht, solange du mit den Shark Blades fährst.»

Die Umstellung vom richtigen Eis brauche zwar eine Angewöhnungszeit, und das Skating auf der neuen Unterlage erfordere einen leicht grösseren Kraftaufwand. Sonst verändere sich aber wenig, sagt Parada: «Das Tempo, das du erreichst, kommt jenem auf dem Eis nahe. Du kannst beschleunigen, Kurven fahren und bremsen, auch einbeinig sowohl mit der Innen- als auch der Aussenkante.»

Premiere bei strömendem Regen: Die Schweizer Nationaltrainer Marcel Jenni (U-20, links) und Patrick Fischer auf dem Oceanice in Rapperswil.

Signorells Projekt ist immer noch in der Entwicklung, das Feld in Rapperswil ist der siebte Prototyp. Von Nummer 8, das circa im März 2024 fertig sein soll, erwartet er einen weiteren grossen Sprung. Schon jetzt sei Oceanice besser als schlechtes Ausseneis, sagt Signorell. Am Samstag sorgte strömender Regen dafür, dass sein Feld auch diesem Härtetest ausgesetzt wurde. Normalerweise erschwert Regen das Spiel – oder verunmöglicht es sogar. «Wir konnten aber eine Stunde lang unter diesen Bedingungen spielen», sagt Signorell.

Bremsbewegungen auf dem Eis produzieren Abrieb, gemäss Signorell handelt es sich dabei um Grobabrieb und keinen Feinstaub. Ein Putzroboter, der übers Feld fährt, sammelt diesen nebst anderen Verunreinigungen ein, zudem ist unter dem Feld ein Filtersystem eingebaut, der verhindern soll, dass Abrieb in den Boden gelangt. Weil es sich bei OceanIce um Thermoplast handelt, ist es «selbstheilend» und lässt sich bei grösseren Schäden mit Hitzezufuhr wieder reparieren.

Der Vergleich mit dem Tennis

Als seine grösste Herausforderung sieht Signorell dennoch die Überzeugungsarbeit an: «Die Leute müssen begreifen, dass wir neben dem richtigen Eis noch eine zweite Unterlage brauchen.» Er vergleicht die Situation mit dem Tennis und seinen diversen Unterlagen: «Und der Unterschied zwischen Sandplatz- und Hartplatztennis dürfte grösser sein als zwischen Eis und Oceanice.»

Das Interesse geweckt hat er auch schon bei Clubs. So diskutiert er in Langnau mit den SCL Tigers über einen Oceanice-Rink, der in der sich im Bau befindenden neuen Trainingshalle neben dem regulären Eisfeld erstellt werden soll. Und Prototypen für Eisschnell- und Eiskunstlauf sind bereits in der Planung.

Wenn man den Eishockeysport grösser machen und auch in weniger Eishockey-affinen Regionen etablieren oder vor allem Kindern auch im Sommer gute Trainingsgelegenheiten bieten wolle, komme man nicht mehr um synthetisches Eis herum, ist Signorell überzeugt: «Mit den auf Aussenfeldern erforderlichen Kühlsystemen sowie dem grossen Wasser- und Energieverbrauch ist es völlig illusorisch, dies zu erreichen.»